Der Countdown im Mai 92:
Persönliche Anmerkungen zum Ende einer Radio-Epoche von Bernd Mühlstraßer
Am 31. Mai 1992 sprach Peter Machac die letzten Worte. Zum letzten Mal wurden im B3-Studio die Regler geschoben. Noch einmal brannten die Lichter im holzgetäfelten Studiokomplex, aus dem seit April 71 ein legendäres Radioprogramm gefahren wurde. Das Zeitzeichen für 24 Uhr, piep – piep – piep – AUS!

Was hier zu Ende ging war kein makelloses Radioprogramm, kein "Alles ist Toll"-Sender. Nein, viel zu viel Ärger, Intrigen und Ränkespiele hatte es in den letzten Jahren Bayern 3 gegeben. Gute Geister sind vertrieben worden, schlechte Macher zogen viele Fäden, offen und versteckt. Welten prallten aufeinander, z.B. zu den Zeiten eines Programmchefs Gottschalk, der von Montag bis Freitag progressives Programm bot, und sich vom flachen Wochenendprogramm die Hörer vergraulen lassen musste. Oder als Classic Rock wegen "schreiender Gitarrenmusik" von Programmchef Boetzkes zugunsten einer vierten Sendestunde Radiotime, der es nicht einmal zu einem Titeljingle reichte, geopfert wurde.

Es war also alles andere als ein perfektes Radioprogramm. Und doch, noch immer gab es "Licht" im dunklen Tunnel der Radiolandschaft. Menschen am Mikro, Stimmen statt Gleichklang, Wärme und Radio von Mensch zu Mensch statt Anbiederei, es gab Musik "Handmade" und Ernsthaftigkeit. Und dieses Licht wurde nun ausgeknipst. Rückblickend betrachtet, wurde nicht ein Radio mit Fehler ersetzt durch ein neugestaltetes Programm, sondern ein Sendeformat mit letzten Resten von Qualität wurde abgelöst durch flaches, austauschbares, menschenleeres Formatradio. Und das ist bis heute so geblieben. Doch blicken wir noch mal zurück:

Als Gottschalk den BR resigniert im Herbst 89 verlassen hatte, lies es sich Claus-Erich Boetzkes nicht nehmen, befreit von seinem Gegenspieler, zum 1. Januar 1990 das Programm umzustellen und damit Thommys Strukturen zu zerschlagen. Sicht- bzw. hörbar wurde dies, indem das progressive "Gottschalk-Team" nun wieder mit Leuten aus dem "Wochenend-Team" durchsetzt wurde. Die restriktiven Qualitätsansprüche der bisherigen Musikauswahl wurden nun wieder nach unten geschraubt und somit waren Engelbert, Gitte oder Iglesias sen. plötzlich wieder "on air".

Dennoch, noch immer bestritten viele aus dem alten, anspruchsvollen 89er-Konzept das Programm und mühten sich redlich, dort nach wie vor gutes Radio zu machen. Doch der musikalische Maulkorb, von Boetzkes verordnet, zerrte an Nerven und Guter Laune der Moderatoren/-innen. Die hatten sichtlich Probleme, ihrer Freiheiten und Ansprüche beraubt zu werden. War es doch unter Programmchef Gottschalk selbstverständlich, das die Moderatoren Ihre Sendungen selbst zusammenstellten. Derartige "Auswüchse" konnte der großartige Musikkenner Boetzkes nicht erlauben. Von nun an stellten wieder Musikredakteure die Programm zusammen, Musik und Moderation waren keine Einheit mehr.

Ein besonderes Markenzeichen der Boetzkes-Zeit waren nun auch einige spezielle "B3-Cut´s" – entschärfte Versionen aktueller Hits. Es durften teilweise nicht mehr die original abgemischten Songs gespielt werden, sondern im Hause zusammengestellte Versionen, in denen z.B. aggressivere Gitarrensolos herausgeschnitten wurden. Kastriertes Radio nun also auf B3 seit Januar 1990.

So sehnte ich also die angekündigte Reform des Programms ungeduldig herbei. Nachdem die Entscheidung fiel, das Boetzkes nicht mehr daran beteiligt werden sollte, war eigentlich klar – es wird wieder aufwärts gehen, hier auf B3. Dort mühten sich die guten Moderatoren redlich, das Programm hörenswert zu gestalten. In einem neuen Umfeld würden diese etablierten Stimmen das Radio Nr. 1 in Deutschland werden können.

Doch plötzlich platzen die Bomben: Die Münchner Presse berichtete vom Kahlschlag auf Bayern 3: "12 Moderatoren gefeuert" – darunter Fotos auch von Sabine Sauer und Jürgen Herrmann. Daß in die Jahre gekommene DJs der ersten Stunde, die bislang das fade Wochenende prägten, ihre Plattenkoffer packen müssten (wie z.B. Machac, Schlier, Edenhofer) war ja durchaus in meinem Sinne – aber daß Jürgen Herrmann, "Mr. Bayern 3" dabei war, war für mich ein unverständlicher Keulenschlag.

Die sonstigen Verlautbarungen zum neuen Bayern 3 waren ebenso unheilvoll wie nebulös, so das mir als alten Radiofan nichts anderes übrig blieb, als das ganze auf mich zukommen zu lassen.

Wer bleibt, wer geht – eine Frage, die in meinem Kopf herum spuckte. Es gab für mich "gesetzte Topleute" über deren Weggang man ja wohl nicht nachdenken musste (wie z.B. Catrin Berger) und bange Wackelkandidaten, wie z.B. "meine" verehrte Bea Reszat, die offensichtlich schon lange Gegenwind im Funkhaus hatte, und es gab jene Wischiwaschi-Moderatoren, die bei einem vernünftigen Schnitt eigentlich nicht dabeibleiben dürften. Aber nix gwiss woas ma net – das war die Devise der kommenden Wochen. Und – das Lied der 10 kleinen Negerlein sollte eine harmlose Gute-Nacht-Geschichte werden, im Vergleich zu dem, was sich nun auf B3 abspielte......

Den Anfang im bunten Reigen der "letzten Worte" machte am 7. Mai 92 um 18.53 Uhr Achim Zeppenfeld. Er war ja ein von mir eher kritisch beobachteter "Neueinsteiger" gewesen (ich muss zugeben, eher intolerant gegenüber allen "Neuen" gewesen zu sein, die zu Lasten "meines" alten Gottschalk-Teams in die Mannschaft integriert wurden), doch Zeppi überzeugte im Laufe der Wochen doch durch seine sympathische Art. Nun verabschiedete er sich also gerade mit deprimierter Stimme und einem Emil-Beitrag von seinen Hörern. Ganz offensichtlich wußte er noch nicht, das er wenige Wochen später doch ins Team vom neuen Bayern 3 rutschen würde.

Mittlerweile gab die Programmleitung von Bayern 3 eine Anweisung heraus, in der darauf gedrungen wurde, auf "rührselige Verabschiedungen" zu verzichten. Allerdings wurde vom neuen Team schon großspurig getönt, die alten Moderatoren wären "Ausschalt-Impulse" gewesen und wie toll alles wird, grad weil nichts mehr so bleibt wie es war. Insofern hatten die "Alten" nichts mehr zu verlieren, und sendeten größtenteils mit Wehmut, aber nicht in Sack und Asche. Die Chefanweisung, sich sozusagen durch die Hintertür zu verabschieden wurde schlicht ignoriert und immer wieder wurde auf ("hören wir uns am Donnerstag nochmal") bevorstehende Abschiede hingewiesen.

Der nächste und größte Knaller dann am 24. Mai – Catrin Berger beginnt den Boulevard mit den Worten "...und das zum letzten Mal auf Bayern 3". Catrin Berger, die sympathische Stimme, die Kämpferin an allen Fronten, die Mrs. B3 der letzten Jahren, sollte im neuen Konzept keine Rolle mehr spielen? Damit war für mich klar: Das neue Bayern 3, was sollte das für ein Sender werden, wenn solche Moderatoren mit Herz keine Rolle darin spielen konnten?

Und nun Schlag auf Schlag: Am Montag, 25. Mai folgte Gabi Ghaffari mit Ihrer letzten Radio-Time. Wie in alten Zeiten suchte sie die Musik nochmals selbst aus – es krachte mal wieder richtig auf den Wellen von B3, dem Boetzkes wird das Herz stillgestanden haben. Hörbar resigniert verabschiedete sie sich kurz vor 23 Uhr und verschwand dadurch für immer im "Off".

Nächster Tag, Dienstag 26.5: Der erste Mr. Music sagt Servus, Rainer Gehrhardt. Doch er kann´s gelassen angehen, im neuen Programm ist ein Abend für ihn reserviert....

Die Radiotime wird zum letzten Mal von Judith Lentz gestottert, manche Abschiede sind auch wie eine Erlösung! Doch dann mein persönlicher Tiefschlag: BlueNightShadow mit Bea Reszat – deren letzte Sendung! Also auch meine Traumstimme sagt Good Bye.....mir fehlen die Wort und Bea sagt leise Servus, "vielleicht bis irgendwann, irgendwo....".

Im täglichen Radioreport hat der Schichtwechsel schon begonnen: Keine Ohnesorge, kein Linde – ausgetauscht gegen Übergangs-Moderatoren.

Und im laufenden Programm ging das Verabschieden weiter: Donnerstag, 28. Mai – Himmelfahrt, also eh´ das langweilige Wochenend-Programm. Dennoch: Katja Franke, eingesetzt in der Coming-Home-Schiene moderiert zum letzten Mal, für mich nicht so tragisch, die hatte eh nie so die Beziehung zum BR (meldete den Verkehrsservice mal als WDR 3....) und war ebenfalls eine, allerdings nicht ganz so schlechte, Boetzkes-Ergänzung. Aber eine Stunde später moderiert die quirlige Petra Schwarzenberg. Die hat sich bei mir in den letzten Jahren viel Sympathie erworben. Zunächst nur zum Wochenend-Team gehörend, vertrat sie ab 1989 hin und wieder Bea oder Catrin und überzeugte mit ihrer fröhlichen Art. Da wurde man hin und wieder schon akustisch von ihr wachgeknutscht und nun fehlten ihr auch etwas die Wort, als sie kurz vor Mitternacht ihre letzte Ansage machte. Wenn ich sie heute in den RTL-Nachrichten sehe, so akkurat und taff, kaum zu glauben, das sie sich früher vor dem Mikro so austobte...

Freitag, 29. Mai 92: Jürgen Herrmann, stinksauer über die Art und Weise der Programmreform und seiner Ausbootung, beerdigt Mr. Music, Bayerns beste Vormittagsschiene seit mehr als 5 Jahren. Kurz vor 11 Uhr zieht er Leine und die Regler nach unten, es folgt die Abschiedsvorstellung von Alexa Agnelli, auch das nicht nachvollziehbar. Warum findet eine derart sichere und herzliche Infofrau im neuen, doch angeblich auf Info- statt Musikformaten setzenden Programm keinen Platz?

Und dann der zelebrierte Abschied der Radiothek und dessen Moderator Romain Fehlen. Die Radiothek ersetzte 1990 Gottschalks Radioshow. Sie war ein mutiges Format und hatte es bei mir wohl gerade deshalb (beim Radio bin ich eher konservativ...) schwer. Anfangs verschliss die Sendung einige Moderatoren, ehe sich mit Catrin Berger, Romain Fehlen und Thomas Wöllhaf ein festes Team bildete. Es war eine Sendung, die in gewisser Weise das nachfolgende Tageskonzept vorwegnahm. Keine reine Musik- und keine reine Infosendung, dazwischen Comedy, also alles was später den ganzen Tag als Programmschema gelten sollte. Hier aber gelang es in konzentrierter Form und auf doch höherem Niveau als heute üblich. So muss ich dieser Sendung heute mehr Respekt zollen, als bei meiner früheren Wertschätzung. Dem Fehlen war nun deutlich die Kritik an Form, Art und Weise der Reform und der Missachtung der bisherigen Arbeit anzuhören. Er verabschiedete sich und das Radiothek-Team mit harschen Worten, moderierte aber am kommenden Sonntag noch den letzten Boulevard.

Nächster Ausscheider am Abend die Bettina Stummeyer, seit vielen Jahren auf B3 zu hören, unter Gottschalk zur Persönlichkeit vor dem Mikro gereift. Mit Walgesang und Pippi Langstrumpf endete ihre B3-Karriere, mit viel Tiefgang und besonderer Ausstrahlung.


Sonnntag, 31. Mai: Auch das von mir wenig geliebte Wochenend-Team sagt Adieu: Schlier, Machac, Websky. Für mich Vertreter jenes antiquierten B3´s, dem ich keine Träne nachweine. Aber Thomas Resch moderiert nochmals die Hitkiste, eine Sendung die ihm besonders am Herzen lag. Er feuert noch mal ein Jingle-Feuerwerk ab und verabschiedet sich mit sehr kritischen Worten – und das, obwohl er im neuen Team als einer der wenigen "Alten" ("ich fühl mich mit 25 Jahren auch schon sehr alt"/Resch) einen Platz gefunden hat.

Abends zum 23.59 Uhr endet mit Remember und Peter Machac´ eine Epoche Radiogeschichte: Das alte Team ist damit Vergangenheit, aber auch das Sendestudio, aus dem B3 seit 1971 gefahren wird, ist damit Geschichte. Noch Jahre später sieht man den abgedunkelten Sendekomplex in den verwirrenden Gängen des BR. An den Scheiben Fanbriefe zum Abschied und noch immer die Anweisung, auf tränenreiche Abschiede doch zu verzichten....
Im Zuge der gesamten Umgestaltung im Funkhaus ist dieses Studio SK3 dann zum Trainigsstudio für den Nachwuchs umgestaltet worden, dient aber immer noch als voll funktionsfähiger Reserve-Sendekomplex.

Erst im Zuge der gesamten Umgestaltung im Funkhaus ist dieses Studio dann verschwunden.

Montag, 1. Juni 92: Seit 5 Uhr wird zurückgesendet......ein blamabler Auftakt des "Neuen Bayern 3", den sich Frank Pöllmann mit diesem Satz geleistet hat. Die AZ berichtet: "Das neue Programm im alten Dudelsender: Noch nie war Aufwachen so schlimm". Statt Mr. Music gibt’s nun "Schau mal Radio – allerhand fürs Ohr" und unter solchen, vielversprechenden Titel verbergen sich nun Warnungen, das Sandalen nachmittags vielleicht nass werden (früher hat der Wetterbericht was von Regen erzählt...), Horoskope mit dem Hinweis, heute doch um eine Gehaltserhöhung zu bitten und weitere tiefgreifende Erkenntnisse. Die Namen der Moderatoren/innen sind fast geheime Kommandosache, denn es gilt die Cheforder: "Kult um Namen ist out, der Star ist das Programm". Jürgen Herrmann empfindet des neue Konzept als Mischung aus Kindergarten und Wetterstation und Antenne-Bayern-Chef Worms sieht das neue Konzept als Kopie seines eigenen Programms und macht sich drum auch mal überhaupt keine Sorgen um seine Hörer.

Und weil alles so wundertoll ist, gehen in den nächsten Monaten auch die Hörerzahlen weiter zurück, der vermeindlich am alten Team festzumachender Trend wurde nicht gestoppt. Die mutigen Elemente (wie Super 3) werden wegen katastrophaler Einschaltquoten wieder herausgenommen und ich hab meine Radioheimat verloren. Seit nunmehr fast 10 Jahren versuche ich mich mit diesem Programm anzufreunden, aber es ist nichts mehr geworden mit uns.......